Autobranche ist kein Jobmotor mehr - etwas Zahlenforensik



Zahlen der Autoindustrie zeigen: Der Lack bekommt Kratzer

Eigentlich sind Zulieferer mit Alarmrufen sehr zurückhaltend, denn sie arbeiten für Kunden, die ihre Produkte mit positiven Emotionen, wie „Erfolg“, „Dynamik“, „schön“, „Grenzen überwindend“, vermarkten: Autos! Ihre Hersteller behüten das Image: nichts darf an dem Glanz kratzen. Doch die Realität hat das Wolkenkuckucksheim nun fest im Griff. Verbände haben als erste über den Druck der Zulieferunternehmen berichtet und nun brechen auch einzelne Firmenchefs das Schweigen. Ist der Druck groß geworden, dass aus dem Griff bereits ist ein Würgegriff geworden ist?  Umsatz und Beschäftigung sinken bei den Zulieferern stärker als bei den Fahrzeugherstellern. Und der E-Automarkt schwächelt plötzlich. Doch die Auftragsbestände sind auf einem Allzeithoch. Was gilt nun?

Zahlenforensik

Zahlenforensik: Ein Blick in die Statistiken beantwortet normalerweise diese Frage. Zahlen können ja nicht lügen. Doch die Zahlenkolonnen liefern kein einheitliches Bild: sie verwirren. Eher vernebeln sie die Dramatik. Statistiken glätten die Schicksalsschläge einzelner, vermischen positive und negative Entwicklungen und rasieren die Spitzen von Einzelereignissen. Wie bei einer Flut wird alles eingeebnet. Sichtbar bleiben seichte Sänken und Erhebungen.

Der Bericht zur Autokonjunktur, den der VDA jeden Monat herausgibt, liest sich wie ein Kreuzworträtzel. Nicht weil er so kompliziert geschrieben ist, sondern weil er Spiegelbild einer weltweit sehr verästelten Branche ist, auf die viele verschiedene Einflüsse geradezu chaotisch einwirken und sie durcheinanderwirbeln. Abgesehen davon, dass sie sich in einem disruptiven Transformationsprozess befindet. Auch das noch.

Eine Branche fährt Achterbahn

Ich nehme Sie nun mit auf eine Reise durch das Zahlenwirrwarr.

Der Auftragsbestand bei Autoherstellern und Zulieferern ist kontinuierlich seit 2019 gestiegen und reicht jetzt knapp 9 Monate. Ein Höchstwert. Gleichzeitig kletterte der Anteil der Unternehmen in der Auto- und Zulieferindustrie, die Engpässe beim Material melden, von knapp über 10 Prozent auf 90 Prozent. Leider trifft die übliche Interpretation dieses Zustandes „als Signal einer so schnell gestiegenen Nachfrage“, so dass die Betriebe mit der Fertigung nicht mehr nachkommen, nicht zu. Es fehlen schlichtweg Vorprodukte, Personal, Transporte, unfertige Teile blockieren die Montagebänder und wegen des Krieges sind Lieferanten ausgefallen und neue Quellen müssen erst erschlossen werden.

Der Absatz von Pkw sank in Deutschland 2022 bis Mai um 9 Prozent, wobei der Absatz schon für das ganze Vorjahr 21 um 10 Prozent niedriger lag. Besonders deutsche Marken waren von dem Rückgang betroffen: - 13 Prozent.  Während die private Nachfrage stabil blieb, brach die Nachfrage für gewerbliche Nutzung und Firmenwagen mit minus 14 Prozent ein.

Der Absatz von Nutzfahrzeugen sank in Deutschland 2022 bis Mai um 17 Prozent. Im Mai sogar um 20 Prozent. Nur die ganz schweren Brummis konnten im Mai um 2 Prozent zulegen und trotz der viel propagierten Verkehrswende wurden in den ersten 5 Monaten dieses Jahres 16 Prozent weniger Busse zugelassen, eine Talfahrt die sich erst im Mai mit „nur“ minus 12 Prozent sich verlangsamte. Doch hat sich das Geschäftsklima bei Nfz-Herstellern im Juni noch einmal verbessert und erreicht höchsten Wert seit Sept. 2020, so der VDA in seinem Bericht. Im selben Atemzug wird allerdings vermeldet, die Kapazitätsauslastung der Nutzfahrzeughersteller war im 2. Quartal 2022 mit 88 % rückläufig.

Gute Zeiten schlechte Zeiten

Schauen wir uns im Inland Produktion und Exporte an: „Alles schön macht der Mai“, so ein alter Spruch. Tatsächlich, die PKW Inlandsproduktion stieg um 22 Prozent, es wurden im selben Monat auch 32 Prozent mehr exportiert. Damit schönte der Mai eine sonst weniger glanzvolle Situation. Denn im Jahresverlauf 2022 wurden im Inland in den ersten fünf Monaten, also bis einschließlich Mai, mit nur 1,38 Mio. Pkw 7 Prozent weniger produziert. Davon sind 1 Mio. Pkw im selben Zeitraum 10 Prozent weniger in den Export gegangen. Die Auslandsproduktion brach regelrecht mit einem Minus von 15% ein. Das schmerzt auch Zulieferer in Deutschland, die von ihren Werken aus, an die Montagebänder der deutschen Hersteller im Ausland liefern.   Produktion und Export von Transporten (Nfz bis 6t)  ist im selben Zeitraum um knapp ein Drittel zurückgegangen auch wenn dieser Abrutsch im Mai deutlich verlangsamte: minus 15 % bzw. minus 11 Prozent.

Weltweit waren die Produktionsziffern der einzelnen nationalen Märkte für die ersten fünf Monate durchwachsen. Der Mai selbst zeigte Besserung. Dennoch prognostiziert der VDA für 2022 ein Produktionsminus von -2%, weltweit allerdings ein Anwachsen von +2 Prozent.

Hoffnung liegt auf E-Autos

Die Ausrichtung auf die Elektromobilität verspricht die Zukunft. Die Politik hat die Weichen gestellt. Aus allen Richtungen trommelt es auf die Auto- und Zulieferindustrie ein, die Transformation voranzutreiben. Und der Markt? Gute Nachricht: Der Elektroanteil am deutschen Gesamtmarkt steigt: im Januar bis Mai 2022 betrug er 24,5 Prozent, 2,3 Prozentpunkte mehr als ein Jahr zuvor.  Damit fahren 1,39 Mio. Elektro-Autos auf deutschen Straßen. Nachgefragt wurden vor allem reine batteriebetrieben Pkw (BEV) mit plus 17 Prozent. Allerdings gingen im Mai die Zulassungen drastisch auf nur plus 9 Prozent zurück. Die Nachfrage nach Plug-in Hybrid Fahrzeugen (PHEVs) ist schon länger im Minus: - 15 Prozent. Die Statistik zeigt, der Markt für Elektro-Pkw ist in USA viel dynamischer als in Europa und auch China fällt es schwer seine E-Auto Agilität hoch zu halten.

Der Markt folgt also nur bedingt der Politik. Ganz und gar abgekoppelt von politischen Parolen „verhält“ sich der Markt, wenn es um die Fahrzeuggattungen geht. Nicht Kleinfahrzeuge sind in der Gunst der Käufer, sondern ungebrochen werden Oberklasse Karossen, SUVs und Vans bevorzugt. Bei Letzteren wenigsten die politisch korrektere Mini-Van Variante.

Die Zulieferer schwindelig gewirbelt

Nach acht aufeinander folgenden Monaten mit sinkenden Auftragseingängen, stiegen die


Auftragseingänge im April erstmals wieder um plus 2 Prozent. Soweit die gute Nachricht. Betrachtet man den bisherigen Jahresverlauf liegt der Ordereingang weiterhin im Minus (-4 %) und auch der wichtige Zustandsindikator, nämlich der Produktionsindex blieb im Jahresverlauf bei enttäuschenden minus -6 %. Kleiner Lichtblick im April war er nur noch mit - 4 % im Minus. Allerdings liegt der Produktionsindex bei der Zulieferindustrie bereits seit neun Monat in Folge im Minus!  Kein Wunder also, dass das Geschäftsklima der Zulieferer im Juni wieder einen Rückschlag erlitten hat. Laut VDA werden von den Zulieferern sowohl die Geschäftslage als auch die -erwartung nun überwiegend negativ bewertet. Es sind die Krisen, der Preisdruck und die Unsicherheiten, die die Laune verderben, nicht nur die der Zulieferer, sondern der ganzen Autobranche.

Zulieferer leiden besonders - aber sind sie auch leidensfähiger?

Die vom statistischen Bundesamt gesammelten Umsatzzahlen zeigen, dass die Zulieferer von den Ausfällen und Unsicherheiten weiter stärker betroffen sind als der Durchschnitt der Autobranche mit seinen Akteuren.  Erleidet die gesamte deutsche Autoindustrie einen Umsatzrückgang von derzeit -2 %, so ächzen die Zulieferer unter einem weit größeren Umsatzeinbruch von - 6 Prozent.  Das bleibt natürlich nicht ohne Auswirkung auf die Arbeitsplätze. Die Autobranche beschäftigte, so ermittelte das Amt, 2 Prozent weniger Mitarbeiter und die Zulieferer bauten sogar 7 Prozent ihres Personals ab. Wer nun denkt, das ist erst seit dem Ausbrauch des Ukraine Krieges so, liegt falsch. Schon im Januar gingen bei den Zulieferern 7 Prozent aller Arbeitsplätze verloren, während bei den Autoherstellern mit minus 1 Prozent der Abbau verträglich war. Eine Diskrepanz, die also schon länger anhält.

Reibungslose Transformation ist wichtig für den Erhalt der Arbeitsplätze

Hier deutet sich ein ganz massiver Umbruch in der Arbeitswelt und bei den Arbeitsplätzen an, denn zeitgleich suchen alle händeringend nach Mitarbeitern für ihre Elektronik- und Softwareabteilungen und obendrein gefährdet die verlangsamte Transformation des Marktes vom Verbrenner in E-Fahrzeuge den Transfer der Arbeit von den „Verbrenner-Bändern“ hin zur Batterie- und zur E-Fahrzeugen Fertigung. Das gleiche gilt übrigens für die bremsenden Marktregulieren im Bereich Connectivity und Big-Data-Anwendungen.

Marktrisiken gefährden Investitionen in die Zukunft

Perspektivisch fördern die nicht mehr reibungslos funktionierenden Liefer- und Verkaufsketten das Risiko, das die Zulieferern nicht mehr in der Lage sein werden, die für Investitionen in die Transformation erforderlichen Geldmittel zu erwirtschaften. Das Business-Modell der gesamten weltweiten Autobranche stützt sich auf eine hohe Produktionsauslastung; erst dann können aus Low- und auch aus Hightech-Applikationen Gewinne erwirtschaftet werden. Mit Kosteneinsparungen und den Griff in die Finanzreserven oder der Suche nach Investoren aus dem Ausland lässt sich dieser Zeitpunkt hinauszögern, aber nicht fundamental abwenden.  Darum erfordert die aktuelle Entwicklung frühzeitig unsere ganze Aufmerksamkeit: die Aufmerksamkeit allen Beteiligten oder neudeutsch: Stakeholdern.  

 



Kommentare

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  2. Zur Ergänzung. Das Portal efahrer.chip.de publizierte einen Beitrag, wonach die Autobranche angekündigt habe, bis zum Jahr 2026 insgesamt 526 Milliarden US-Dollar in die Entwicklung von Elektrofahrzeugen zu stecken. Das sei mehr als das Doppelte, den sie vor ein paar Jahren für einen ähnlichen Zeitraum veranschlagt hatten, so habe das Nachrichtenportal Bloomberg vorgerechnet, schreibt der Autor.

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